Der Champagner und die Hefe

Champagner ist Wein. Und Zeit ist beim Wein ein Thema, das nicht nur eine herausragende Bedeutung hat, sondern an dem sich auch oft die Geister scheiden. Ein immer wieder heiss diskutierter Punkt dabei ist, ob sich ein Wein im richtigen Trinkfenster befindet und somit den grösstmöglichen Genuss bereitet.

Auch beim Champagner spielt die Zeit eine immens wichtige Rolle. Um dies zu diskutieren, fangen wir ganz am Anfang an:

Champagner unterscheidet sich in seiner Herstellung zunächst nicht von anderen Weinen, denn auch er durchläuft als Stillwein eine erste Gärung. Das Ergebnis ist der sogenannte vin claire. Ob er anschliessend der malolaktischen Gärung (Umwandlung der Apfelsäure in die mildere Milchsäure) unterzogen wird, entscheidet der Winzer. Oft läuft dieser Prozess jedoch von selbst ab. Manche wollen ihn bewusst vermeiden, weil sie glauben, dass der Champagner ohne die malolaktische Gärung viel frischer ist. Was heute üblich ist, war vor den 1960er Jahren eher die Ausnahme, und die meisten Winzer verzichteten darauf. (Champagne, Peter Liem, 2017, S. 49).

Der stille Wein kommt dann in die Flasche, wo er mit Hefe und etwas Zucker zu dem prickelnden Champagner wird, wie wir ihn kennen. Für Champagner ohne Jahrgang, Non Vintage oder NV genannt, schreibt das französische Gesetz eine Mindestlagerzeit von 15 Monaten vor, für Jahrgangschampagner von 36 Monaten. Nach oben sind keine Grenzen gesetzt. 10 Jahre auf der Flasche sind keine Seltenheit. Ein Dom Perignon Œnotheque kann sogar gut und gerne 30+ Jahre auf sein Degorgement (Entfernung der Hefe im Flaschenhals) warten vor der Reifung und dem anschliessenden Degorgement sind allerdings noch einige Arbeitsschritte notwendig, die ich hier im Detail erkläre:

Liqueur de tirage

Der noch stille Wein wird mit einer Mischung aus Wein, Zucker und Hefe, dem liqueur de tirage, versetzt. Damit beginnt die zweite Gärung in der Flasche. Das klingt einfach, ist es aber nicht. Denn die Hefe muss stark genug sein, um eine zweite Gärung in Gang zu setzen. Da der Wein zu diesem Zeitpunkt bereits einen Alkoholgehalt von etwa 11 Prozent hat, ist es für die Hefe nicht leicht, in Schwung zu kommen. Denn Alkohol ist der natürliche Feind der Hefe. Mit steigendem Alkoholgehalt sterben die Hefezellen ab. Früher dachte man wohl «viel hilft viel» und gab der Hefe eine ordentliche Portion Zucker als Starthilfe. Das Ergebnis war teilweise verheerend, aber dazu später mehr. Heute weiss man etwas mehr, unter anderem, dass 4 Gramm zugesetzter Zucker 1 Bar Druck in die Flasche bringen.

Prise de mousse

Die Hefe verzehrt den Zucker und wandelt ihn in Alkohol und Kohlensäure (Schaum) um. Letztere kann logischerweise nicht aus der verschlossenen Flasche entweichen. Das führte früher dazu, dass ein Grossteil der Bouteillen durch zu hohen Druck regelrecht explodierte und den Anwesenden um die Ohren flog. Ein Grund, warum Champagner damals selten und teuer war. Manche Flaschen trugen ein «Kettenhemd», um die Verletzungsgefahr beim Explodieren zu minimieren, denn man war einfach noch nicht in der Lage, stabile Bouteillen herzustellen.

Mit der Zeit steigt der Alkoholgehalt um weitere 1 bis 2 Volumenprozent. Diese Gärung in der Flasche ist sozusagen das Herzstück der Méthode Champenoise.

Die Méthode Champenoise findet häufig auf Latten statt. So bezeichnet man die Lagerung der Flaschen in horizontaler Lage, früher auf Holzlatten. Diese Gärung dauert länger als die alkoholische Gärung der Stillweine, auch bedingt durch die eher kühleren Temperaturen in den tiefen Kellern der Champagne. Man sagt, dass sie erst nach gut einem Monat (und länger) abgeschlossen ist.

champagner flaschen während der lagerung

Champagnerflaschen surlie

Man könnte meinen, dass er schon fertig ist. Doch das ist falsch, denn während der anschliessenden Reifezeit in der Flasche passiert noch einiges.

Der Anfangsdruck in der Flasche beträgt bei einer ursprünglichen Zuckermenge von 24 Gramm in der Regel etwa 6 bar. Zum Vergleich: Ein Autoreifen hat etwa 2,5 bar. Während der monatelangen Reifung in der Flasche nimmt der Druck stetig ab und die Perlen verwandeln sich von groben Bläschen in zarte, feine Perlen. Als erfahrener Geniesser kann ich also mit blossem Auge an der Grösse der Bläschen erkennen, wie alt ein Champagner ist. Nein, kann ich leider noch nicht, wäre aber ein guter Partytrick.

Nach 10 oder mehr Jahren sinkt der Druck in der Flasche auf etwa 4 bar oder weniger. In der Champagne gibt es übrigens ein Verfahren, das heute kaum noch angewendet wird, bei dem von vornherein weniger Zucker und damit nur 3 bis 4 bar Druck in die Flasche kommen. Das hat deutliche Auswirkungen auf den Geschmack – aber das ist ein anderes Thema.

In dieser Phase der Weinreifung findet die wichtige Autolyse statt. Die Hefe stirbt langsam ab und die Enzyme machen sich an die Arbeit. Sie machen sich über die abgestorbenen Hefezellen her. Dies beeinflusst das Aroma, die Textur und den Körper des Champagners. Untersuchungen haben ergeben, dass sich der Abbau der Hefezellen durch Autolyse auch positiv auf die Haltbarkeit auswirkt (Champagne, The Future Uncorked, Gert Crum, 2017, S. 73). Die abgestorbene Hefe wirkt vermutlich als Antioxidans und macht den Wein dadurch länger haltbar, was wiederum einen längeren Genuss ermöglicht. Aber auch hier muss alles in ein vernünftiges Gleichgewicht gebracht werden, denn eine sehr lange Lagerung ist nicht automatisch ein Garant für einen perfekten, langlebigen Champagner.

Bei Champagnern, die vor dem Degorgieren über einen längeren Zeitraum, d.h. 8 Jahre und länger, gelagert werden, werden die Flaschen häufig von der waagerechten in die senkrechte Position gebracht. Durch diese stehende Lagerung wird der Kontakt zwischen Hefe und Wein auf ein Minimum reduziert.

Diese Hefelagerung in der Flasche ist für das Endprodukt von besonderer Bedeutung, da sie wesentlich zur Haltbarkeit und zum Geschmack nach dem Degorgieren beiträgt. Der Wein wird auch komplexer, wozu auch das feinere Mousseux beiträgt.

Diese Art der Lagerung ist für viele kleine Kellereien ein wichtiger wirtschaftlicher Faktor. Wein, der (noch) nicht verkauft wird, bringt kein Geld. Viele kleinere Winzer machen aus der Not eine Tugend und führen mehrere Degorgements eines Jahrgangs durch, um ihn gestaffelt verkaufen zu können. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ein Champagner mit vier Degorgements viermal völlig anders schmeckte. Der frischeste und damit schönste Wein war der mit dem spätesten Degorgieren. In diesem Zusammenhang habe ich oft gehört, dass Champagner, die länger in der Flasche gereift sind, weniger Versanddosage benötigen. Das kann ich insofern bestätigen, als nach meiner Erfahrung auch gute BSA (Brut sans année, also Champagner ohne Jahrgang) mit wenig Dosage, aber nur 3 bis 5 Jahren Flaschenreife nach dem Degorgieren nicht «ewig» haltbar sind, sondern nach ca. 5 Jahren ihren Zenit überschreiten. Zur Dosage kommen wir weiter unten.

Einige Wochen vor dem Degorgieren beginnt die Rémuage. Die Flaschen, die noch nicht „sur pointes“ sind, sondern sich noch in der Horizontalen befinden, werden auf das Degorgieren vorbereitet, indem sie langsam von der Horizontalen in die Vertikale gebracht werden. So kann die abgestorbene Hefe im Flaschenhals für das Degorgieren positioniert werden.

Dies geschieht heute weitgehend automatisch mit so genannten Gyropaletten. Es gibt aber immer noch einige Winzer und auch grössere Häuser, die dies zumindest bei ihren Prestigeweinen von Hand durch einen sogenannten Remueur erledigen lassen.

Nun kommen wir endlich zum schon oft erwähnten Degorgieren. Dieses erfolgt in der Regel nicht mehr von Hand à la volée, sondern maschinell. Die Flaschenhälse werden in -27 Grad kaltes, mit Glykol versetztes Wasser oder neuerdings auch umweltfreundlicher in eine Flüssigkeit auf der Basis von Propandiol getaucht und anschliessend geöffnet. Durch den Überdruck in der Flasche schiesst das Sediment heraus und es bleibt ein klarer Wein zurück. Da nun ein kleiner Teil des Champagners in der Flasche fehlt, erhält der Wein die sogenannte Dosage, eine bestimmte Menge an im Wein gelöstem Zucker. Diese Zuckermenge ist für den Süssegrad und damit für die Bezeichnung des Champagners verantwortlich. Sie wird von Winzer zu Winzer unterschiedlich gehandhabt und ist oft ein gut gehütetes Geheimnis. Je nach der zugeführten Menge spricht man von Zero Dosage oder Brut Nature (0 Gramm Zucker), Extra Brut (0 bis 6 Gramm), Brut (6 bis 12 Gramm) bis hoch zu Doux, wo 50 Gramm Zucker zugelassen sind.

Die Dosage ist von entscheidender Bedeutung, denn sie kann einen Wein nicht nur zur Höchstform bringen, sondern ihn auch ruinieren, indem sie ihn aus dem Gleichgewicht bringt. Klar ist auch, dass man mit Zucker vieles übertünchen kann. Manche Winzer wollen den Ausdruck ihres Champagners betonen, indem sie ihn ohne oder mit sehr wenig Dosage abfüllen. Hier gibt es inzwischen viele grossartige Exemplare, die ein wunderbares Bild ihres Terroirs zeichnen.

Zum Schluss wird die Flasche mit einem Korken verschlossen. Doch auch wenn der Champagner nun verkaufsfertig ist, ist er nicht unbedingt sofort trinkfertig. Es gibt Winzer wie Anselm Selosse, die sogar auf die Flasche schreiben, dass man nach dem Degorgieren mindestens 6 Monate warten muss, bis der Champagner sein Equilibrum erreicht hat. Der Wein reift also noch. Wer mehrere Flaschen desselben Champagners besitzt, wird feststellen, dass sich der Geschmack mit der Zeit verändert. Auch bei BSA gibt es ein ideales Trinkfenster nach dem Degorgieren, das normalerweise nicht in den ersten 6 Monaten liegt. Ich empfehle daher generell, auch Champagner mindestens sechs bis zwölf Monate kühl zu lagern. Dazu eignen sich Weinklimaschränke oder der eigene Weinkeller mit stabilen Temperaturen.

So, und wie trinkt man das jetzt? Fast ganz einfach!

Ich denke, es liegt auf der Hand, dass sich der Geschmack eines Champagners mit der Lagerzeit sowie mit der Anzahl und Grösse der Bläschen verändert, denn ihre Beschaffenheit beeinflusst Nase und Gaumen.

Die Bläschen im Champagner setzen die Aromen frei, indem sie an der Oberfläche zerplatzen. Daher sollten keine Gläser mit zu engen Öffnungen verwendet werden, wie die leider weit verbreiteten Flûtes. Die dadurch entstehende Konzentration der Perlen kann in der Nase schnell als störend empfunden werden und gibt die Aromen nicht richtig wieder.

Ein Glas Champagner enthält ca. 2 Millionen Bläschen (Uncorked, The Science of Champagne, Comte Liger-Belair, 2004, S. 39). Diese dürfen ruhig eine grössere Oberfläche haben. Schliesslich handelt es sich um Wein, und bei Stillweinen käme man ja auch nicht auf die Idee, sie aus einem kleinen Glas zu trinken, oder?

Ich persönlich trinke Champagner gerne aus grossen Gläsern, wie zum Beispiel den Bordeauxgläsern von Zalto oder Sophienwald. So kann sich der Wein am besten entfalten. Und wenn es mehr in Richtung Opulenz und gereifter Champagner geht, empfehle ich ein Burgunderglas. Darin kann sich der Wein am besten entfalten.

Dieser Beitrag wurde von Marc von Harten geschrieben und erschien am 25. Juni bei weinkellerschweiz.ch

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