Was genau bedeutet Winzer-Champagner?

Hauptsache, es hat Blöterli und kribbelt im Bauchnabel, ist eine etwas pragmatische Erklärung.  Damit wird man vielleicht dem Frizzante oder dem Prosecco gerecht, sicher auch dem Sekt mit zugesetzter Kohlensäure, aber ganz sicher nicht dem Winzersekt mit dem Etikett «Recoltant Manipulant». Warum? Ganz einfach: Winzerchampagner herzustellen und zu vermarkten erfordert ein gewisses Können – und vor allem den Mut, sich in ein Haifischbecken zu begeben.

Dazu muss man wissen, dass in der Champagne unglaublich viel Wein produziert wird. Jährlich werden weltweit über 500 Millionen Flaschen Champagner verkauft. All dieser Champagner muss irgendwo wachsen. In diesem Fall ist es die AOC Champagne, ein weltweit geschützter Begriff. Nur Schaumweine mit der AOC Champagne dürfen sich Champagner nennen. Der Rest ist als Schaumwein, Sekt, Frizzante, Prosecco, Crémant, Franciacorta oder Cava bekannt.

Diese 500 Millionen Flaschen werden hauptsächlich von den grossen Markenhäusern produziert. Die LVMH-Gruppe, zu der Moët & Chandon, Veuve Clicquot, Ruinart und Krug gehören, produziert über 80 Millionen Flaschen und erzielt damit einen Umsatz von über 4,5 Milliarden Dollar. Kürzlich wurden 20 Millionen Dollar in ein neues Champagner-Forschungszentrum investiert, um den ökologischen und industriellen Herausforderungen weiterhin gerecht zu werden.

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Um der grossen Nachfrage nach Champagner gerecht zu werden, ist man in der Champagne äusserst flexibel und erweitert gerne mal das Anbaugebiet. Zuletzt geschah dies im Jahr 2011, als man sich 10’000 Hektaren zusätzliche Anbaufläche einverleibte, was einige Landbesitzer innert kürzester Zeit zu Multimillionären machte.

Wir haben also gelernt, dass die grossen Handelshäuser sehr viel Champagner verkaufen, aber zusammen nur knapp 10 % der gesamten Anbaufläche besitzen, obwohl sie über 70 % des gesamten verkauften Champagners produzieren. Wo kommt das alles her? Sie müssen die Grundweine, also die Trauben, zukaufen. Die ganze Ware kommt also von vielen kleinen Winzern, die dafür fürstlich entlohnt werden und in Genossenschaften organisiert sind. Bis zu 7,50 € pro Kilo zahlen die Handelshäuser den Winzern für ihre Trauben! Das ist weltweit wohl einmalig. Zum Vergleich: In Spanien bekommen die Winzer gerade mal 60 Cent für ein Kilo gesunde Trauben.

Und wer sich schon immer gefragt hat, warum es so wenig Champagner aus ökologischem Anbau gibt, findet hier die Antwort. Im Gegensatz zum Winzer ist der Weinbauer nur mässig daran interessiert, nachhaltig zu arbeiten. Sein Interesse ist ein möglichst hoher Ertrag, und der ist mit biodynamischen Anbaumethoden kaum zu erreichen.

Aber zurück zum Thema: Diese «Winzer» machen selbst keinen Champagner. Deshalb nenne ich sie in diesem Fall einfach «Weinbauern», denn für mich persönlich pflegt ein Winzer nicht nur seine Reben, sondern stellt auch den Wein her und vermarktet ihn.

Und damit sind wir auch schon bei der Lösung: Ein Winzerchampagner wird von jemandem hergestellt, der für den Anbau, die Pflege, die Weinbereitung und die Vermarktung selbst verantwortlich ist. Die Antwort ist also im Grossen und Ganzen recht einfach und vor allem kurz. Spannend wird es für uns Verbraucher, wenn wir verstehen, worin der Unterschied zwischen Winzerchampagner und Markenchampagner besteht. Es liegt auf der Hand, dass man bei derart grossen Mengen, die verarbeitet werden, keine Individualität erwarten kann. Im Gegenteil, eine gewisse Uniformität ist hier kaum von der Hand zu weisen. Und ja, es ist durchaus gewollt, dass der Möt jedes Jahr so schmeckt, wie er schmeckt. Denn die Natur meint es nicht immer gut mit den Winzern, und so versucht man durch Verschnitt oder in diesem Fall Cuvées, Jahr für Jahr das gleiche Produkt zu schaffen. Irgendwie finde ich das langweilig.

ERic Rodez kontrolliert den Wein
Winzer Eric Rodez bei der Arbeit

Was ist der Vorteil von Winzer-Champagner?

Wir leben nicht mehr in grauer Vorzeit, wo es immer kalt war und der Winzer keine Ahnung hatte, sondern wir leben in einem immer wärmeren Klima und die Winzer waren noch nie so gut ausgebildet wie heute. Wenn man sein Handwerk versteht, ist es praktisch unmöglich, einen schlechten Wein zu machen. Und genau das ist der Vorteil des Winzerchampagners gegenüber den grossen Marken. Es ist die Individualität, die Unkonventionalität, der Freigeist, den man im Glas schmeckt. Winzerchampagner sind immer individuell, auch wenn ein Haus einen klaren Stil hat. Manchmal sind sie elegant und fein, manchmal ungestüm und wild, und immer öfter sind sie Ausdruck des Terroirs und des Jahrgangs. Das macht den Winzerchampagner zu einem immer wiederkehrenden absoluten Genuss und zu einer Region, in der es Jahr für Jahr viel zu entdecken gibt.

Diese Entwicklung führt auch dazu, dass immer mehr Winzer Anerkennung finden. Und so entscheiden sich auch immer mehr junge Winzer, ihre Weine nicht mehr an die grossen Häuser zu verkaufen, sondern das Wagnis und Risiko einzugehen, ihre Weine selbst zu vermarkten. Diese Entwicklung ist für uns Konsumenten erfreulich und ich beobachte sie im Gegensatz zu den grossen Häusern mit Freude und bin gespannt, was uns die Zukunft noch an spannenden Winzersekten bringen wird.

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Hier wird zugekauft „NM“

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100% eigene Trauben: Proprietaire Manipulant

Woran erkenne ich Winzer Champagner?

Es ist relativ einfach. Irgendwo auf dem Etikett steht «Recoltant Manipulant» oder die Buchstaben «RM» oder «Proprietaire Manipulant». Es gibt auch sogenannte grössere «Winzer», die auch Trauben zukaufen. «Jacquesson» ist ein solches Beispiel. Die beiden Brüder sind so erfolgreich, dass sie viel mehr Wein benötigen, als sie selbst produzieren. Deshalb kaufen sie Trauben (ca. 3%) in der direkten Nachbarschaft zu, was sie vom Gesetzgeber zum Handelshaus macht – also zum Negocian Manipulant, kurz «NM».

Andere Beispiele sind Winzerfamilien wie Legras & Haas oder Laherte Frères, die aus erbschafts- und steuerrechtlichen Gründen die Weinberge innerhalb der Familie aufgeteilt haben und die Trauben in den gemeinsamen Produktionsbetrieb einbringen und damit vom Gesetzgeber zum Handelshaus (NM) werden.

Und zum Schluss: Natürlich gibt es auch Champagner der grossen Handelshäuser, die zur absoluten Spitze in der Champagne gehören. Dom Perignon kennt sicher jedes Kind, Grand-Siecle von Laurent-Perrier ist weltberühmt und der beste, den ich je im Glas hatte, ist Rare von Piper Heidsieck. Diese Champagner gehören in guten Jahren eindeutig zur absoluten Speerspitze der Champagner, die ich persönlich nicht missen möchte.

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